Sterbehilfe
- Stellungnahme des Ärzteforums zu assistiertem Suizid
- Suizidprävention statt „assistiertem Suizid“, Stellungnahme der Österreichischen Gesellschaft für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik (ÖGPP) vom 07.09.2020
- Deklaration zu Euthanasie und Assistiertem Suizid (2019) der WMA (World Medical Association)
- Jahresbericht zur Sterbehilfe in Kanada 2019
Sterbehilfe und assistierter Suizid – Verpflichtung zu verantwortetem ärztlichen Handeln
Argumente zu Sterbehilfe und assistiertem Suizid sollen im Folgenden beleuchtet werden.
Die Würde des Menschen
„…ist unantastbar“ und beinhaltet sein Recht auf würdevolles Leben und würdevolles Sterben. Doch können wir zu einer gemeinsamen Haltung finden in der Frage: „Was ist würdevoll“?
Bedeutet die Unantastbarkeit der Würde des Menschen auch die Unantastbarkeit seines Lebens? Führt Krankheit zur Minderung dieser Würde? Gibt die Tötung dem kranken, leidenden Menschen seine Würde zurück?
Bereits in diesen wenigen Fragen erschließt sich, wie grundlegend hier an der Basis unserer Gesellschaft gerüttelt wird.
Da die Würde des Menschen nicht auf irgendeine Weise messbar ist, muss sie, dem Gesetz der Logik folgend, dem Ungeborenen und dem Alten, dem Armen und dem Behinderten, also allen als Mensch zu bezeichnenden Lebewesen in gleichem Masse zugestanden werden. Unter dieser Annahme heißt dies, dass die Würde des Menschen kein verhandelbares Gut darstellt und auch nicht durch irgendeinen Zustand, wie Krankheit oder Gebrechlichkeit, vermindert werden kann. Das Argument, die Tötung eines unheilbar kranken Menschen würde dessen Würde bewahren, oder ihm diese zurückgeben, zielt somit ins Leere.
Angehörige von Berufsgruppen, die Palliativpatienten und -patientinnen betreuen, können sehr differenziert darstellen, welche Umstände dazu führen, dass der / die Leidende oder seine / ihre Angehörigen seinen /ihren Zustand als unwürdig empfinden: Schmerz, Angst, Einsamkeit und das Bewusstsein, aus dem „Lebendig sein“, dem „sich als lebendig empfinden“ herauszufallen.
Als palliativmedizinisch tätige Ärzte und Ärztinnen wissen wir, dass wir den Wunsch nach Beendigung des Lebens auch mit bestmöglicher Betreuung nicht in jedem Patienten und jeder Patientin verstummen lassen können. Aus diesen Einzelfällen (um die es sich auch nach Meinung ausgewiesener Palliativmediziner / -medizinerinnen handelt) den Schluss zu ziehen, Euthanasie könnte für ausgewählte Patienten und Patientinnen eine Option sein, wäre fatal.
Der Weltärztebund hat bereits im Jahre 1987 in Madrid über das ärztliche Berufsethos folgendermaßen geurteilt “…dass, das Leben eines Menschen vorsätzlich zu beenden, selbst auf eigenen Wunsch des Patienten oder naher Verwandter, unethisch ist.“
In den darauffolgenden Jahren ist kein Ereignis zu erinnern, welches diese fundamentale Beschreibung ärztlicher Ethik außer Kraft gesetzt haben könnte.
Autonomie
Heute ist sich der Mensch tatsächlich in vielen Bereichen des Lebens „Gesetz“. So positiv gelebte Autonomie für den Einzelnen und für die Gesellschaft sein kann, so kritisch ist die Forderung nach autonomer Entscheidung am Lebensende zu sehen.
Vielfältige Einflüsse können auf einen Menschen am Ende seines Lebens wirken: Angst und Sorge im Bezug auf seine Erkrankung – wie wird der Verlauf sein? Werde ich leiden – physisch und psychisch? Angst und Sorge um Verwandte und Freunde – wie gehen sie mit meinem unheilbaren Umstand, meinem unumkehrbaren Weg in den Tod um? Werden sie an meinem Verlust zerbrechen? Wirtschaftliche Angst und Sorge – kann ich mir eine mir angemessene Pflege und Betreuung (für jeden Menschen wird dies anders aussehen) leisten? Von wem und in welchem Ausmaß werde ich abhängig sein, meine Selbstständigkeit, meine Privatsphäre verlieren? Werde ich in meinem unheilbar kranken Zustand zur Last, zur Sorge für andere Menschen? Erwartet die Gesellschaft von mir nicht geradezu, dass ich durch die Beendigung meines Lebens Platz mache, finanzielle und medizinische Ressourcen frei setze für andere Menschen?
Eine Entscheidung für oder gegen das Leben kann im Spannungsfeld und unter dem Einfluss der oben genannten Aspekte nur bedingt autonom sein, sie ist immer auch geführt und beeinflusst durch die dem schwerkranken Patienten noch möglichen oder nicht mehr möglichen geistigen Freiräume. Die Forderung, ein todkranker Mensch solle sich in einem autonomen Akt für oder gegen das Leben entscheiden dürfen, kann somit durchaus auch als unzulässige Zumutung interpretiert werden. Wessen Autonomie wird hier das Wort geredet? Wo ist die autonome Entscheidung des Arztes, gemäß und nicht wider sein Berufsethos zu handeln, in der Diskussion um aktive Sterbehilfe berücksichtigt? Würde das Ansinnen, einen Arzt mit der Tötung seines Patienten zu beauftragen, das Vertrauensverhältnis Arzt – Patient nicht aufs Schwerste beeinträchtigen?
Ist der Akt der – assistierten – Selbsttötung die Lösung für die Sorgen am Ende des Lebens?
Das Ent-Sorgen eines schwerkranken Menschen löst keine End-Sorgen.
Schmerzfreiheit
Schmerzfreiheit – ein unhaltbares Versprechen? Unerträgliche Schmerzen sind ein zentrales Argument im Für und Wider der Euthanasie-Debatte. Der Hinweis auf die Möglichkeit und breite Zugänglichkeit einer wirksamen Schmerztherapie ist banal. Unter Einsatz aller verfügbaren schmerzlindernden Maßnahmen kann etwa 85% aller Schmerzpatienten zu einem erträglichen Zustand verholfen werden – aber eben nur 85%, und dies unter optimalen Bedingungen (ärztliche Ausbildung, engmaschige Betreuungsmöglichkeiten, Patienten- und Angehörigencompliance).
Unter Berücksichtigung dieser Tatsachen ist es sehr bedenklich, einem unheilbar kranken Menschen Schmerzfreiheit zu versprechen. Es ist jedoch durchaus legitim, Schmerzlinderung auf ein erträgliches Mass zuzusichern und die Gewissheit, im Versagensfalle als betreuender Arzt / betreuende Ärztin anwesend und ansprechbar zu sein, um einen Ausweg zu suchen. Die terminale Sedierung ist in diesem Zusammenhang ein schwieriges, aber gerade im Licht der Euthanasie-Debatte in Erwägung zu ziehendes Instrument für Palliativpatienten mit unerträglichen Schmerzen. Palliativmedizinisch tätige Ärzte machen die Erfahrung, dass Begleiten und Aufzeigen von gangbaren Wegen auch für den Schmerz in der letzten Lebensphase Optionen eröffnet. Von zentraler Bedeutung ist deshalb die Forderung nach intensiverer und geförderter, fachübergreifender schmerztherapeutischer ärztlicher Ausbildung für alle, die in die Betreuung von Palliativpatienten eingebunden sind.
Die Last der Geschichte
Wenn heute ein Arzt / eine Ärztin sein / ihr Handeln mit dem Hippokratischen Eid begründet, werden ihm / ihr möglicherweise Gegenargumente entgegengehalten wie z.B. Bezogenheit des hippokratischen Eids auf die gesellschaftliche Situation seiner Entstehungszeit um 400 v.Chr. Dennoch formuliert der hippokratische Eid einige Grundhaltungen ärztlicher Ethik, wie das Verbot aktiver Tötung, die über Jahrhunderte nicht aus Gewohnheit, sondern aus der Erkenntnis der Notwendigkeit einer solchen Haltung des Lebensschutzes heraus, konsistent in Manifesten des Ärztlichen Standes wiederzufinden sind.
Vom 20. bis 22. April 2007 fand in Schloß Hartheim, Oberösterreich, die Internationale Hartheim-Konferenz statt mit dem Thema: „Sinn und Schuldigkeit – Fragen zum Lebensende“. Ganz bewusst wurde Schloss Hartheim, Gedenkstätte der NS-Euthanasie, als Veranstaltungsort gewählt. Die NS-Euthanasie ist keine politische Erfindung. Ihre Einführung im Jahre 1939 basiert auf der wissenschaftlichen Arbeit deutscher Ärzte und wurde von diesen maßgeblich betrieben. Diese Last der Geschichte und die daraus erwachsende Verantwortung für den ärztlichen Beruf ist so groß, dass man aus ihr nur einen Schluss ziehen kann: Bereits die Annäherung des ärztlichen Berufsstandes an die Euthanasie ist eine ethische und gesellschaftliche Katastrophe und öffnet die Büchse der Pandora unwiederbringlich, dies zeigt, gegen alle Beschönigung, die Entwicklung in Holland.
Wir müssen uns die Frage stellen, warum ein sterbender Mensch in der Gesellschaft von heute in erster Linie als Belastung empfunden wird und seine letzte Lebensphase als derart entwürdigend und sinnlos erachtet wird, dass sie möglichst abzukürzen sei. Kranke und sterbende Menschen verändern das Gesicht einer Gesellschaft sehr wohl auch positiv, hin zu einem Mehr an Menschlichkeit, die sich nicht nur in einer alljährlichen weihnachtlichen Spendenfreudigkeit erschöpft. Was macht die letzte Lebensphase für Betroffene und deren Angehörige und Freunde kostbar? Eine wohl seltsame Frage für Euthanasie-Befürworter. Erleben jedoch wir Ärzte und Ärztinnen gerade in dieser letzten, dichten Zeit nicht auch ein Wachsen an Menschlichkeit, Barmherzigkeit, Mitleid zwischen dem Sterbenden und seinen Bezugspersonen, ein Mehr an personaler Beziehung, eine Chance zum Reifen?
Seit Jahren kämpfen auch Ethiker und Ethikerinnen aus Österreich im Europarat um eine Abwendung der Legalisierung von Euthanasie. Sie müssen sich immer wieder derartiger Anträge aus verschiedenen Ländern erwehren. 1999 war es noch möglich, die Ablehnung der Legalisierung der Euthanasie in einem bahnbrechenden Dokument niederzulegen, der Recommendation 1418. Wie lange wird dieser ethische Meilenstein unwidersprochen seine Gültigkeit besitzen? Für unsere Patienten und Patientinnen können wir nur hoffen, für immer. Unsere Aufgabe als Ärzte und Ärztinnen muss es sein, die uns anvertrauten Menschen gegen den Dammbruch einer Legalisierung der Euthanasie zu schützen – in Wort und in Tat.
Dr. Ursula-Maria Fürst
Salzburger Ärzteforum für das Leben
Salzburg 2015