Anfang September 2024, drei Wochen vor den Nationalratswahlen, befasst sich die Berichterstattung in Tirol mit dem Thema Abtreibung. Wir achten jede Bemühung um Ausgewogenheit und Tatsachenberichte, da es wichtig ist, alle Seiten zu hören.
Thema Abtreibungen in Tirol – verwendete Begrifflichkeiten
Gerade bei so sensiblen Themen, wie es „Abtreibung“, „Schwangerschaftsabbruch“, „Konfliktschwangerschaft“ sind, ist es essenziell, dass die zum Thema vorliegende Information umfassend dargestellt wird und die Begrifflichkeiten korrekt und präzise verwendet werden.
Unsachgemäß verwendete Begriffe finden sich auch in den medialen Berichten in Tirol vom 06.09.2024 (Beitrag in tirol.orf.at (https://tirol.orf.at/stories/3271979/) und in der Sendung „Tirol heute“ vom 06.09.2024 „Schwieriger Weg zu Abtreibung in Tirol“):
- „Recht auf Abtreibung“: Im Sommer 2024 wurde in Frankreich ein Gesetz mehrheitlich verabschiedet, in dem es um die „Freiheit zur Abtreibung“ geht. Das ist juristisch nicht dasselbe wie ein verankertes Recht auf Abtreibung und sollte auch nicht so berichtet werden. Da es beim Schwangerschaftsabbruch um die Abwägung der Rechte zweier Menschen geht, wäre ein Recht auf Abtreibung ein Widerspruch in sich.
- Es wird anhaltend behauptet, dass es in Tirol nur einen Arzt gebe, der Abtreibungen durchführt. Das ist nicht korrekt. Korrekt wäre es zu sagen, dass „es nur einen Arzt gibt, der chirurgische Abtreibungen im Rahmen der Fristenregelung im niedergelassenen Bereich durchführt“. Die medikamentöse Abtreibung, die vermutlich mindestens ebenso häufig stattfindet und von mehreren Ärzten durchgeführt wird, findet keine Erwähnung.
- Es wird angeführt, dass in 7 von 9 Bundesländern Abtreibungen an öffentlichen Krankenhäusern durchgeführt werden. Erstens ist es den Entscheidungsträgern und Krankenhaus-Betreibern (wenigstens in Vorarlberg und Tirol) immer sehr wichtig gewesen zu sagen, dass die Eingriffe am „Areal des Krankenhauses“ und nicht „im Krankenhaus“ durchgeführt werden; und zweitens ist die implizierte Schlussfolgerung nicht richtig, dass „etwas gut oder richtig ist, weil es alle (viele) machen“.
- Bezeichnungen wie „reaktionäre Kräfte“ für diejenigen zu verwenden, die anderer Meinung sind, fördert den Dialog nicht. Sie sollten medial nicht als meinungsbildendes Instrument verwendet werden.
Fakten rund um das Thema Abtreibungen in Tirol
In Österreich haben wir kolportierte 30.000 bis 35.000 Schwangerschaftsabbrüche pro Jahr, denen etwa 80.000 bis 85.000 Geburten gegenüberstehen; in Tirol jährlich geschätzt etwa 2.000 Abtreibungen gegenüber 7.500 Geburten. Im Hinblick auf diese Zahlen ist es nicht gerechtfertigt zu sagen, dass der „Zugang zu Abtreibung schwierig sei“. Wir sollten uns gesellschaftlich eher Gedanken darüber machen, ob wir uns das leisten können, dass in Österreich etwa jedes 3. Kind nicht auf die Welt kommt.
Die Intention des Gesetzes zur Fristenregelung von 1975 war es, eine Entkriminalisierung von Frauen in Not zu gewährleisten. Es ist schwer vorstellbar, dass jede 3. Schwangerschaft eine Notlage bedeutet. Somit ist Abtreibung in Österreich in den letzten Jahrzehnten zu einem Instrument der Geburtenkontrolle geworden, und das sehr effektiv, wie man unschwer an der Entwicklung unserer Bevölkerungspyramide sehen kann.
Grundrechte zweier Leben – der Frau und des Kindes
In der Debatte um den Schwangerschaftsabbruch wird viel zu einseitig der Zugang zur Abtreibung thematisiert. Nicht gesprochen wird davon, dass es beim Schwangerschaftsabbruch um eine Interessensabwägung zwischen zwei Grundrechten geht, dem Recht der Frau auf Selbstbestimmung und dem Recht des Kindes auf Leben. Der Mann als werdender Vater findet dzt. in der Diskussion keine Berücksichtigung, obwohl eine Konfliktschwangerschaft und eine Abtreibung die Mutter, den Vater und das Kind sowie die erweiterte Familie betreffen. Aus dem Diskurs ausgeblendet wird zudem die Tatsache, dass viele Frauen gegen ihren Willen abtreiben, weil sie durch Dritte unter Druck gesetzt werden oder sich allein gelassen fühlen.
Ebenso wenig wie die Information über die Interessensabwägung zwischen zwei Grundrechten finden die “flankierenden Maßnahmen” Berücksichtigung, die bei Einführung der Fristenregelung von der Politik versprochen wurden (Unterstützung der Frau in der Konfliktschwangerschaft, Beratung, Bedenkzeit, Aufzeigen von möglichen Ressourcen und Alternativen zur Abtreibung, …).
Abtreibungen in Tirol – Unterschied zwischen ungeborenem und geborenem Kind?
Als Tiroler Ärzteforum für das Leben (mit Ärztinnen und Ärzten aus verschiedensten Fachrichtungen) betrachten wir die Dinge aus der medizinischen Perspektive.
Wir sind in unterschiedlichen Fachrichtungen auch beruflich mit dem Thema „Konfliktschwangerschaft“ bzw. der Möglichkeit des Schwangerschaftsabbruchs konfrontiert:
Insbesondere die Neonatologen unter uns haben mehr als einmal das Bangen und Hoffen von Eltern erlebt, während um das Leben ihres viel zu früh oder auch später im Rahmen von lebensbedrohlichen Erkrankungen betroffenen Kindes gekämpft wird. Besonders, wenn es um Frühgeborene mit 23-24 Schwangerschaftswochen und einem Gewicht von gerade mal 500-700 Gramm Gewicht geht. Sie sind an der Grenze der Lebensfähigkeit. Es ist vollkommen unverständlich, wenn in räumlicher Nähe im Krankenhaus das Leben eines jüngeren Kindes, mit 10, 12 oder 14 Schwangerschaftswochen aktiv beendet werden soll oder wird. Der einzige Unterschied zwischen beiden sind einige Wochen an Zeit. Das wissen die Eltern, und das wissen auch die betreuenden Ärztinnen und Ärzte.
Adäquate Beratung als Grundlage für eine informierte Entscheidung
In der Begleitung von Frauen bzw. Eltern ist es uns ein Anliegen, dass das Thema Konfliktschwangerschaft ärztlicherseits angesprochen und adäquat und umfassend beraten wird, was in der Realität kaum geschieht.
Frauen bzw. Eltern haben in einer demokratischen Gesellschaft einen Anspruch darauf, in den Fragen, die sie um die Schwangerschaft bzw. um ihr ungeborenes Kind haben, offen und ehrlich begleitet und beraten zu werden. Dabei ist eine umfassende Information auch ärztliche Aufgabe, denn nur, wenn die Frau (bzw. das Paar) die gesamte Information erhält und alle Fragen beantwortet bekommt, wird es möglich sein, dass die Frau (bzw. das Paar) eine informierte Entscheidung treffen kann. Die Beleuchtung jeder individuellen Situation mit der Erhebung der Ressourcen der Frau, des Paares, der Familie und dem Aufzeigen aller Alternativen – nicht nur der des Schwangerschaftsabbruches – sind dabei ein wesentlicher Schritt.
Rückkehr zum Dialog
Über die Jahre erleben wir, wie hart die Fronten zwischen den Lagern „pro und contra Abtreibung“ geworden sind – und dabei diejenigen Frauen bzw. Eltern aus den Augen verloren gehen, die Fragen haben, die sich das Gespräch wünschen würden, es aber nicht sagen (dürfen), weil “sie ja von ihrem Selbstbestimmungsrecht Gebrauch machen sollen”, die Grundlage für eine informierte Entscheidung brauchen und sie nicht bekommen, weil nicht sachlich diskutiert wird, sondern sehr emotional – oder gar nicht.
Diese „Verhärtung der Fronten“ fördert mit Sicherheit nicht den Dialog, in den wir rund um das Thema Abtreibung gelangen möchten und müssen, um diejenigen Frauen (und Männer) zu erreichen und zu unterstützen, die das möchten und brauchen.
Tatsächlich haben wir es nicht erlebt, dass ein Schwangerschaftsabbruch „einfach so“ und ohne Folgen verlief. Das mag unser Bias sein, aber es gibt nun mal diese Gruppe von Frauen (und Männern), die unter der Abtreibung reell und tatsächlich leiden, z.T. noch viele Jahre später. Diese Frauen (und Männer), die nach einem Schwangerschaftsabbruch körperliche und / oder psychische Folgen erleben, wissen häufig nicht, wohin sie sich wenden und mit wem sie darüber sprechen können. Es wäre im Sinne der ausgewogenen informierten Entscheidung wichtig, auch diese Stimmen zu hören. Denn ihnen nützt die Debatte darum, ob wir mehr Zugang zu Schwangerschaftsabbrüchen brauchen oder nicht, herzlich wenig.
Im Hinblick auf diese Punkte ist es aus unserer Sicht höchst an der Zeit, dass wir in Österreich und auch in Tirol alle Aspekte rund um das Thema Konfliktschwangerschaft vorbehaltlos sehen – und nicht nur isoliert den Schwangerschaftsabbruch – und die Zielrichtung der Diskussion und konkreter alternativer Angebote neu überdenken und entsprechend ändern.